
Konnekt: Interkommunale Kooperation und Transformation als Grundlage einer regionalen Kreislaufwirtschaft und einer nachhaltigen Regionalentwicklung im Landkreis Saarlouis
Potenziale der 360°-Technologie für die kommunale Arbeit
Ein digitales Werkzeug, um kommunales Handeln sichtbar und interaktiv erlebbar zu machen – 360°-Touren
Autorin: Anna Pfannstiel – Bauhaus-Universität Weimar, Professur Siedlungswasserwirtschaft und Technologien urbaner Stoffstromnutzungen, Weimar
Ein innovatives Instrument für den digitalen Wissenstransfer stellt die 360°-Technologie dar. Die virtuelle Simulation von realen Orten bzw. 3D-Räumen wird dabei mit Informationspunkten verschiedener Formate (Fotos, Videos, Texte) versehen. 360°-Touren werden im kommunalen Kontext bisher insbesondere für touristische Vermarktungen genutzt. Auch für Vorgänge der Stadt- und Raumplanung oder der Öffentlichkeitsarbeit bietet diese Technologie Potenziale, die bisher oft ungenutzt bleiben. Um kommunales Handeln im Bereich Nachhaltigkeit sichtbar zu machen und Bürger*innen die lokale Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele am Beispiel zu präsentieren, wurde die interaktive 360°-Tour „Nalbach nachhaltig“ gemeinsam mit der Gemeindeverwaltung Nalbach entwickelt.
Hintergrund
Wir leben in Zeiten des Wandels – Energiewende, Klimakrise, Transformation und Nachhaltigkeit sind Schlagworte, die die aktuelle gesellschaftliche Diskussion prägen und für Kontroversen sorgen. Kommunen stehen dabei vor der Herausforderung, ihre Bürger*innen über ihre Maßnahmen und Aktivitäten, die eine nachhaltige Entwicklung fördern, zu informieren und zur aktiven Teilnahme zu motivieren, denn viele zentrale Nachhaltigkeitsthemen wie bspw. Energiegewinnung und -versorgung, wirken sich direkt und lokal auf die Bürger*innen aus. Um nachhaltige Denkweisen zu realisieren, „spielt die Aufklärung über die Agenda 2030 eine zentrale Rolle. Denn nur eine gebildete und aufgeklärte Bevölkerung kann sich über Nachhaltigkeit bewusst sein und dieses Bewusstsein in Taten übertragen.“ (Gemeinde Nalbach (2021, S. 6). In diesem Kontext setzt die 360°-Tour „Nalbach Nachhaltig“ an. Die Gemeinde Nalbach arbeitet seit 2018 daran, die SDGs sichtbar zu machen und globale Aspekte mit lokalen Themen zu verknüpfen. In dem Projekt „Global Nachhaltige Kommunen Saarland“ (GNK) wurden unter Einbindung sowohl der Verwaltung als auch der Zivilgesellschaft und der Gewerbetreibenden Lösungsansätze und Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene zur Umsetzung der globalen Ziele gesucht. Ergebnis des rund zweijährigen Prozesses waren die Erstellung einer kommunalen Nachhaltigkeitsstrategie und die Broschüre „Agenda 2030 Aktionsprogramm Nalbach“. (Vgl. Gemeinde Nalbach n. d.) Mit Hilfe der 360°-Technologie werden die Bestrebungen der Gemeinde im Bereich der nachhaltigen Entwicklung immersiv (Immersion: das (tiefe)Eintauchen in die Inhalte eines Mediums) präsentiert und die vielfältigen Projekte und Initiativen der Gemeinde in einem ansprechenden interaktiven Format vorgestellt.
Überblick 360°-Technologie
Die 360°-Technologie ermöglicht es dem Betrachtenden, einen realen Ort digital im Rundumblick zu erkunden, bekanntestes Beispiel ist die Anwendung Google Street View von 2007. Eine 360°-Tour besteht im einfachsten Fall aus mehreren miteinander verknüpften 360°-Fotos oder Panoramabildern. Die Panoramen können den visuellen Hintergrund und Kontext für alle erweiterten Informationen bieten. Bei der Augmentierung der Panoramabilder werden interaktive Elemente verschiedener Formate, sowohl Texte, Bilder, Audio, Video oder 3D-Objekte als klickbare Infopunkte eingebunden. Als Synonym werden die Begriffe virtueller Rundgang, 360°-Tour, 360°-Anwendung und augmented panorama verwendet. Durch Anwendungen wie Google Street View, die bereits eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung gefunden haben, eignet sich die 360°-Technologie nicht nur für Fachleute, sondern spricht auch ein breites Publikum unterschiedlichster Altersgruppen an. Einer der wesentlichen Vorteile von 360°-Touren ist die Möglichkeit, realistische Abbilder von tatsächlich existierenden Orten im freisteuerbaren Rundumblick darzustellen. Dadurch erhalten die Nutzer*innen ein dynamisches Erlebnis, das einem realen Besuch des Ortes sehr nahekommt – unabhängig von Zeit, Ort oder aufwendiger technischer Infrastruktur. Dies spart nicht nur Kosten und Zeit, sondern kann auch physische Exkursionen ersetzen und somit zur Reduzierung von Emissionen beitragen. Die 360°-Technologie bietet die Möglichkeit, reale, auch schwerzugängliche Orte virtuell über verschiedene Endgeräte wie Webbrowser, Stand-Alone-Apps auf Computern und Smartphones oder Virtual-Reality-Brillen zugänglich zu machen.
Anwendungsbereiche der 360°-Technologie
Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und abhängig von verschiedenen Faktoren wie Aufnahmeformat, Software-Features und Ausgabeformat. Die Aufnahmetechnik bei 360°-Rundgängen unterscheidet sich grundsätzlich in zwei Arten:
- 360°-Rundgänge: erstellt mit 360°-Fotos oder -Videos, einschließlich stereo-skopischer 360°-Fotos bzw. 3D-360°-Fotos.
- 360°-3D-Modelle: erstellt mit Hilfe eines 3D-Scanners und Photogrammmetrie (Photogrammmetrie: Die räumliche Lage oder dreidimensionale Form eines Objektes kann mit Hilfe von Abtastungstechniken und speziellen Messkameras digital erfasst werden. Das Ergebnis wird als digitales Modell in Form von Bildern, Plänen und Karten dargestellt und kann für den BIM-Prozess genutzt werden.)
Das selbstgesteuerte Erleben einer interaktiven und immersiven 360°-Tour erhöht die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen. Durch die Eigenaktivität beim Erkunden der Tour findet eine intensivere Auseinandersetzung mit den präsentierten Inhalten statt, welches ein tieferes Engagement fördern kann. Die aktive Teilnahme erhöht zudem die Verweildauer auf der Webseite oder Anwendung und bietet damit einen Mehrwert zu traditionellen Marketingmethoden.
Marketinginstrument: Die 360°-Technologie wird genutzt, um Orte, Produkte oder Dienstleistungen auf ansprechende und interaktive Weise zu präsentieren. Durch virtuelle Rundgänge können potenzielle Kund*innen oder Besucher*innen einen realistischen Eindruck erhalten, ohne physisch vor Ort sein zu müssen.
Virtuelles Sightseeing: Dienste wie Google Street View ermöglichen dreidimensionale Ansichten von Straßen und Gebäuden aus der Perspektive von Autofahrer*innen. Seit April 2022 ermöglicht auchApples „Karten“-App ihren Nutzer*innen komplette 360°-Touren durch Städte und Gemeinden.
Kulturelle und historische Präsentationen: Google Arts & Culture bietet seit 2011 interaktive Galerien und Multimedia-Inhalte mit Digitalisierungen von Kunstwerken sowie kulturellen und historischen Stätten. (Vgl. Ruggeri 2028)
Bildung, Lehre und Forschung: Universitäten wie die Bauhaus-Universität Weimar bieten didaktisch aufbereitete virtuelle Exkursionen zur Wissensvermittlung an, zum Beispiel auf der Plattform 360-degree.education.
Training und Schulung: Bei der Polizei werden virtuelle Trainingsszenarien eingesetzt, um Bedienstete auf besonders schwierige Situationen vorzubereiten. (Vgl. Burkert, G. 2021)
Öffentlichkeitsarbeit und Bürger*innenbeteiligung: Institutionen wie die Bayerische Landeszentrale für neue Medien nutzen virtuelle Touren, um Einblicke in ihre Räumlichkeiten und Arbeitsgebiete zu geben.
Anwendungsmöglichkeiten der immersiven Informationsübermittlung im kommunalen Kontext
Die 360°-Technologie ermöglicht es, reale Orte wie Rathäuser, Schulen oder öffentliche Plätze virtuell zugänglich zu machen, wodurch die Teilhabe gefördert und Inklusion unterstützt wird. Diese Technologie schafft barrierefreie Zugänge und ermöglicht es Menschen, unabhängig von ihrem physischen Standort oder ihren möglichen Einschränkungen, an öffentlichen Räumen und Einrichtungen teilzuhaben. Bürger*innen können Verwaltungsgebäude und -abläufe interaktiv erkunden, Anträge und Informationen online einsehen und sich ortsunabhängig informieren.
Als Marketinginstrument kann eine 360°-Tour eingesetzt werden, um den Tourismus zu fördern. Sehenswürdigkeiten, kulturelle Einrichtungen oder Naturschauplätze können virtuell erkundet werden, was das Interesse von Tourist*innen weckt. Gewerbegebiete, Infrastrukturprojekte oder Entwicklungsflächen können virtuell präsentiert werden, um Investor*innen einen umfassenden Einblick zu geben.
Als Planungstool können 360°-Touren in verschiedenen Fachbereichen, von der Stadtplanung bis zum Umweltmanagement, zur Darstellung zukünftiger Entwicklungen eingesetzt werden. Bürger*innen können geplante Projekte oder Veränderungen in ihrer Gemeinde virtuell besichtigen und somit mögliche Auswirkungen der geplanten Maßnahmen besser beurteilen.
Als Partizipationsinstrument und Bildungsformat haben virtuelle Touren somit das Potenzial die Bürgerbeteiligung an Entscheidungsprozessen zu erhöhen/ steigern. Als Dokumentations- und Visualisierungswerkzeug können 360°-Touren zur Dokumentation von Veränderungen im Zuge eines Bauvorhabens genutzt werden. Mithilfe von virtuellen Touren können (kommunale) Maschinen, technische Anlagen, Gebäude und Arbeitsabläufe zum Beispiel zu Schulungszwecken immersiv präsentiert und interaktiv erkundet werden. An verschiedenen Punkten der Tour können gezielt technische Daten, Videos oder erläuternde Texte eingebunden werden, um Informationen bereitzustellen und Fachwissen zu vermitteln. Kommunen können ihre Projekte und Arbeitsprozesse über virtuelle Touren auch mit anderen Städten und Gemeinden teilen. Dies fördert den Wissenstransfer und die Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene, indem innovative Lösungen anschaulich präsentiert und gemeinsam diskutiert werden können. Virtuelle Touren ermöglichen eine umfassende Darstellung unterschiedlicher Arbeitsgebiete. Interessierte können so einen authentischen Eindruck vom Arbeitsumfeld und den Aufgaben erhalten, was für Bewerber*innen oder Partner*innen interessant ist.
Durch die Erstellung von 360°-Touren können kommunale Einrichtungen und Prozesse digital abgebildet werden, ohne dass eine umfangreiche, zusätzliche IT-Infrastruktur erforderlich ist. Der Einsatz der 360°-Technologie stellt damit einen leichtgewichtigen Ansatz zur Virtualisierung der Verwaltung dar.



Virtuelle Tour „Nalbach nachhaltig“
Die Zielsetzung des Vorhabens Konnekt orientiert sich stark an der Agenda2030 und den Sustainable Development Goals (SDGs). Im Rahmen des Projektes wurden den Verbundpartner*innen die 360°-Technologie und verschiedene Anwendungen vorgestellt. Ziel war, den kommunalen Wissenstransfer zu verbessern. Verschiedene Ansätze wurden diskutiert. Interessant schien den kommunalen Praxispartner*innen zum einen die immersive Visualisierung von technischen Anlagen und Gebäuden, um die bereits existierenden innovativen Technologien sowohl einer breiten Öffentlichkeit als auch innerhalb der Verwaltung zu demonstrieren. Beispielhaft wurden dazu Aufnahmen von der Biomassefeuerungsanlage und dem PCM-Latent-Wärmespeicher der Kreisstadt Saarlouis erstellt.
Um das Bewusstsein für das komplexe Thema Nachhaltigkeit im kommunalen Kontext zu fördern, wurde exemplarisch für den Landkreis Saarlouis und seine Kommunen ein Konzept für eine 360°-Tour mit der Gemeinde Nalbach erstellt. Mit Hilfe der 360°-Technologie werden die Bestrebungen der Gemeinde Nalbach im Bereich nachhaltige Entwicklung immersiv präsentiert. Der virtuelle Rundgang „Nalbach nachhaltig“ stellt die vielfältigen Projekte und Initiativen der Gemeinde und bietet die Möglichkeit, das und die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele anhand konkreter Standorte in der Gemeinde interaktiv zu erkunden. In enger Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung Nalbach wurden eine Auswahl geeigneter Akteure und Standorte sowie die zu verknüpfenden Inhalte festgelegt. So erfährt man beispielsweise vom Revierförster der Gemeinde, was ein „Ökopunktekonto“ ist. Eine Herausforderung bestand darin, die Vielzahl an komplexen Informationen und Standorten übersichtlich und benutzerfreundlich zu gestalten. Durch Drohnenflüge und die Erstellung von 360°-Luftaufnahmen wurde ein Überblick geschaffen und die Navigation erleichtert. An ausgewählten Stationen wurden zusätzliche Audiokommentare eingefügt, um die Besucher*innen direkt anzusprechen und übermäßigen Lesetext zu vermeiden. Das Rathaus wurde virtuell begehbar gemacht, um Offenheit und Transparenz der Verwaltung zu unterstreichen. Um den Rundgang lebendiger zu gestalten, wurden Videointerviews mit Akteuren der Nachhaltigkeit, wie Mitarbeitende der Gemeindeverwaltung oder ehrenamtlich aktiven Bürger*innen eingebunden. Die interaktive 360°-Tour kann auf der Webseite der Gemeinde Nalbach (www. nalbach.de) abgerufen werden.
Fazit
Der Einsatz der 360°-Technologie bietet Verwaltungen ein innovatives Format, um kommunales Handeln sichtbar und interaktiv erfahrbar zu machen. Der virtuelle Rundgang „Nalbach nachhaltig“ stellt konkrete SDG-bezogene Projekte sowie Initiativen vor und zeigt exemplarisch, wie immersive Technologien die Kommunikation und das Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung innerhalb und außerhalb einer Kommune fördern können. Die 360°-Anwendung kann zudem als Planungs- und Partizipationsinstrument für zukünftige Entwicklungen in der Gemeinde sowie für den Austausch mit anderen Kommunen genutzt werden, um Inspiration zu geben und Nachahmung zu fördern.
Handlungsempfehlungen zur Umsetzung von 360°-Touren (im kommunalen Kontext)
Für Kommunen, die 360°-Touren als digitales Werkzeug einsetzen möchten, ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen:
- Interaktive Elemente einbinden: Erwägen Sie den Einsatz von Videokonferenztools für den Live-Austausch oder von Quizfragen zur Nutzerbindung.
- Vermittlungsziel und Zielgruppe definieren: Klären Sie, welche Inhalte vermittelt werden sollen und welches Vorwissen bei der Zielgruppe vorausgesetzt werden kann.
- Zuständigkeiten festlegen: Definieren Sie klare Zuständigkeiten bei der Zusammenarbeit. Wer liefert die Inhalte für den Rundgang? Wer ist für die technische Umsetzung verantwortlich?
- Struktur des Rundgangs planen: Überlegen Sie, ob der Rundgang als freie Exploration ohne Richtungs- und Zeitbeschränkung oder als geführtes Erlebnis gestaltet werden soll.
- Informationsformate festlegen: Entscheiden Sie, welche Formate zur Informationsvermittlung genutzt werden sollen (Texte, Grafiken, Fotos, Videos, Audiokommentare) und welche sozialen Interaktionen wichtig sind (z. B. Videokonferenztools, Quizfragen).
- Informationsdichte berücksichtigen: Vermeiden Sie zu viele Standorte und Informationen, um die Nutzer*innen nicht zu überfordern.
- Erstellung und Pflege sicherstellen: Klären Sie, wer den 360°-Rundgang erstellen soll: geschulte Mitarbeiter*innen oder eine externe Firma. Stellen Sie sicher, dass nach Projektende Hosting und Aktualität gewährleistet sind.
Literatur:
Burkert, G. (2021): Virtuelle Szenarien. In: Öffentliche Sicherheit, 9-10/21 (URL: https://www.bmi.gv.at/magazinfiles/
2021/09_10/virtuelles_training.pdf Zugriff: 16.10.2024)
Gemeinde Nalbach (2021): Agenda 2030 Aktionsprogramm Nalbach. Nalbach.
Gemeinde Nalbach (n. d.): Projekt Global Nachhaltige Kommunen Saarland. (URL: https://www.nalbach.de/bauen-umwelt/klimaenergie/
global-nachhaltige-kommune Zugriff: 16.10.2024)
Ruggeri, G. (2018): Digital History is [also] a matter of Design.(URL: https://medium.com/@giorgioruggeri91/digital-history-is-also-
a-matter-of-design-cd2e959dca6f Zugriff: 17.10.2024)